Facebook hat mich süchtig gemacht
Es ist gar nicht so schwer, dies zu erkennen. Facebook hat mich süchtig gemacht. Es vergehen keine fünf Minuten, in denen ich mich nicht einlogge, um "nach dem Rechten zu sehen". Was natürlich vollkommener Quatsch ist, denn es ist, wie vor fünf Minuten auch schon, alles in Ordnung. Aber habe ich nicht wieder einen Kommentar? Vielleicht einen "Gefällt mir"-Klick bekommen? Lass mich lieber noch mal nachschauen.
Ich bin jetzt im dritten Tag meines wirklich endgültigen Abschieds von Facebook und es bestimmt mein ganzes Denken. Ich habe noch einen Artikel in meiner Chronik und ich muss einfach wissen, ob da jemand drauf reagiert hat. Und wer. Und ob er schon "Gefällt mir"-Klicks bekommen hat. Ich habe die Webseite bereits 12 Mal in die Favoriten geschoben und 12 Mal wieder gelöscht. Allerdings mache ich mich mit meiner Ankündigung, Facebook fern zu bleiben komplett, auch komplett lächerlich, denn dies ist mein vierter Versuch. Die drei Versuche vorher hatte ich groß angekündigt, geschafft hatte ich es nicht.
Wer ist schuld an meiner Sucht?
Ich brauche sehr viel Anerkennung. Und Lob. Ich muss wissen, dass ich das toll gemacht habe. Ich denke, dass ich damit nicht alleine bin, jeder Mensch braucht das. Ich brauche das aber extrem, was in meiner Kindheit begründet liegt. Ich habe als Kind niemals (oder nur sehr selten) Lob und Anerkennung erhalten. Dies bekam ich (im Kinderheim) nur dann, wenn ich etwas wirklich großartig gemacht habe. Deswegen lernte ich Gitarre spielen, hatte in jedem Theaterstück die Hauptrolle, (fast) nur gute Noten in der Schule. So lange ich zurückdenken kann, habe ich versucht, mich durch „Taten“ in den Vordergrund zu drängen, was mir beileibe nicht immer Lob und Anerkennung gebracht hat. Aber, wenn ich etwas mache, dann richtig oder gar nicht. Einer meiner langjährigen Freunde sagte einmal: „Meine Firma wäre ohne dich nicht da, wo sie heute ist!“. Dafür lebe ich, das bin ich, so etwas brauche ich.
Und dann kam Facebook und das Unheil nahm seinen Lauf. Was habe ich mich am Anfang da reingekniet, habe ständig Leute auf Regelverstöße aufmerksam gemacht, die mich eigentlich gar nichts angingen. War ja nicht mein Problem. Mich hat es aber gestört. Ich habe mich bei Dutzenden Gruppen angemeldet und überall und zu allen Themen meinen Senf dazu gegeben. In einer Musikergruppe bekam ich dann auch zum ersten Mal richtigen Gegenwind. Das zog mich so runter, dass ich ständig versucht habe, mich zu verteidigen, habe meine „Erfolge“ aufgezählt, Hunderte Male betont, dass ich das „seit 30 Jahren mache“ und „Ahnung habe, von was ich da rede“. Aber habe ich die auch wirklich? Nein, habe ich nicht.
Und ehe ich mich versah, war ich mittendrin: Facebook bestimmte meinen Tagesablauf! Zu allem Elend habe ich es dann auch noch auf dem Handy installiert, um ja nichts mehr zu verpassen. Den Höhepunkt erreichte ich 2011, schrieb einen Artikel über meine Facebook-Sucht und lösche meinen Account. Doch das hielt nicht wirklich lange an. Etwa vier Wochen später habe ich meinen Account wieder aufgemacht und Anfang 2012 sogar ein Buch über Facebook veröffentlicht, um Eltern einen Ratgeber an die Hand zu geben, damit sie ihre Kinder besser kontrollieren konnten. Facebook und die Sucht hatte mich zurück.
Das Belohnungssystem ist schuld
Lob und Anerkennung. Ein Satz reicht und Du bekommst eine Reaktion. Ist es der richtige Satz, bekommst Du es: Lob und Anerkennung. Das Belohnungssystem in Deinem Kopf sendet Endorphine aus, Du wirst geradezu damit überschüttet. Je mehr Kommentare, je mehr Klicks auf „Gefällt mir“, um so mehr wirst Du eingelullt von dieser Sucht, die Du nicht mal bemerkst. Inzwischen ist es so, das 95% meiner Aktivität am Computer von Facebook bestimmt wird. Ich bin wieder in 20 Gruppen, poste mein Essen, meine Lieder, meine Meinung und nicht immer ist alles gut. Die Stimmen, die sagen „halt die Fresse, Alter, Du nervst!“ werden lauter. Also verlasse ich die Gruppe, suche mir eine Neue. Gibt ja genug. Ich bin auf der Jagd. Auf der Jagd nach dem Kick, nach der Belohnung. Antwortet, klickt! Lobt mich, schreibt mir! Egal was, Hauptsache eine Reaktion!
... die Flüchtlingskrise
Im letzten Jahr funktionierte dieses Belohnungssystem am Besten mit Einträgen aus der Flüchtlingskrise. "Ich bin nicht ausänderfeindlich, sondern fremdenängstlich" war der letzte Satz auf Facebook, den ich zu dem Thema geschrieben habe. Davor habe ich fast täglich Berichte aus den Medien zum Anlass genommen, um damit Kommentare und Klicks zu generieren. Das hat wunderbar funktioniert. Das Verhältnis von "Gefällt mir"-Klicks oder wohlwollenden Kommentaren zu Antworten, die mit meinen Einträgen nicht einverstanden waren (die ich nie bewertet, sondern nur gepostet hatte), war 95:5, damit konnte ich leben. Ich habe mir einen "Sonder-Account" eingerichtet, in dem ich, auf einer eigenen FB-Seite, jeden Tag Links postete, die negativ über die Flüchtlingskrise berichteten. Ich setzte dort, wochenlang, alles rein, was ich darüber fand. Diebstähle, Vergewaltigungen, Schlägereien, jeden noch so kleinen Bericht. Und das waren eine Menge. Wen wunderts, bei 1,2 Millionen Flüchtlingen! Wenn in dieser Zeit in den Nachrichten jede Straftat von Deutschen veröffentlicht worden wäre, hätte ich vermutlich wesentlich mehr gefunden. Ich durchsuchte die Nachrichtenseiten, jeden Tag, mehrere Stunden, auf der Suche nach Verfehlungen, um diese dann zu posten.
Im krassen Gegensatz zu diesen Online-Aktivitäten begegnete ich den Flüchtlingen hier bei uns im Ort mit der Liebenswürdigkeit und Hilfsbereitschaft, die man von mir kennt und wie ich es auch niemals anders gemacht hätte. Diese Menschen sind sehr nett, haben mir nichts getan und brauchen unsere Hilfe. Ich half beim Einkaufen im Netto, ich habe den Einkauf (mit Vater und Kindern) sogar zum Container gefahren, ich habe Geld verschenkt und mit den Kindern gespielt. Ich vermute, das ich auf diese Weise mein schlechtes Gewissen wegen meiner "Pranger-Seite" beruhigen wollte.
Nach zwei, drei Monaten hatte ich auf meinem "Flüchtlings-Pranger" nicht einen einzigen "Gefällt mir"-Klick. Nicht einen! Obwohl ich mir die Mühe machte und den Link auf dutzende diversen Seite, Gruppen und Accounts in Facebook verteilt hatte. Ich weiß nicht mal, ob ich Leser hatte, denn wenn man nicht mindestens 20 "Gefällt mir"-Klicks hat, sieht man das nicht. So bildete ich mir ein, "die lesen das!" und "trauen sich nur nicht" zu abonnieren. In Wirklichkeit hat Facebook und das Netz keinerlei Notiz von meinem Pranger genommen. Ich war gescheitert, mehrere Wochen Arbeit, viele Stunden am Tag, völlig umsonst. Keine Belohnung durch Kommentare (Haßkommentare hätte ich sofort gelöscht, weil ich das ja - seltsamerweise - gar nicht wollte), keine täglichen Rekorde mit Abonnenten. Nichts. Die Belohnung blieb aus, Frust und Enttäuschung machte sich breit.
Dann der Zusammenbruch....
... als mir Stefan auf Facebook „die Freundschaft“ kündigt und mich „entfreundet“. Er macht dies, weil ich schon wieder einen Artikel zur Flüchtlingskrise gepostet hatte. Ich reagiere darauf wütend, was fällt dem denn ein, ich lasse mir doch nicht den Mund verbieten! Da er mir öffentlich gekündigt hat, reagiere ich auch öffentlich, ich schreibe ein Wut-Posting. Geht halt alle, wenn Euch nicht gefällt, was ich sage. Verpißt Euch! Und was bekomme ich für dieses Posting? Innerhalb von Minuten Lob und Anerkennung. Siehste! Ich habe Freunde, ich brauche Dich nicht. Doch dann platzt einem meiner besten Freunde ebenfalls der Kragen und er blafft mich an. Öffentich. Laut. Heftig.
Freundschaften sind für mich der Grundstein meines Überlebens. Natürlich habe ich meine Familie und bin sehr stolz, was ich da geschaffen habe. Aber Freundschaften, das ist wichtig, das ist überlebenswichtig. Jetzt war einer schon gegangen, ein andere Freund pflaumte mich an. Ich habe nicht so viele Freunde. Mic, Joachim, Axel, Rico, Bernhard, Eva, Alexandra, Frank, Günther (die Reihenfolge stellt keine Wertung dar), dann wird’s auch schon eng. Das sind tiefe Freundschaften, ich liebe diese Menschen aus tiefstem Herzen. Fällt einer davon weg, schneidet man mir ein Stück Fleisch aus dem Körper.
Also habe ich das Posting gelöscht und Mic hat mich sofort auf dem Chat gefragt, was denn los sei. Da konnte ich nicht mehr, ich brach’ zusammen. Meine Güte, ich habe schon lange nicht mehr so geweint, konnte mich gar nicht mehr beruhigen. Die Angst, noch einen Freund zu verlieren, hat mich dermaßen umgehauen, das ich einfach nicht mehr konnte. Die Dämme brachen.
...und was ist jetzt?
Jetzt verabschiede ich mich von Facebook. Ich habe keine Lust mehr. Ich werde schon einen Weg finden, die gewonnene Zeit wieder aufzufüllen. Stefan werde ich gleich eine Mail schreiben und mich entschuldigen und Mic liebe ich mehr als zuvor, denn er hat mich super aufgefangen.
Diesmal werde ich es auch schaffen. Ich habe meine Nikotinsucht besiegt, ich habe meine Spielsucht besiegt, ich habe meine Pornosucht besiegt und ich habe meine Sammelsucht besiegt.
Ich werde nun auch meine Facebook-Sucht besiegen. Mit Sicherheit!
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